100 Jahre Bauhaus - Interview mit dem Bauforscher Professor Dr.-Ing. Dietmar Kurapkat

Interview mit dem Bauforscher Professor Dr.-Ing. Dietmar Kurapkat

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Professor Dr.-Ing. Dietmar Kurapkat von der Fakultät Architektur an der Ostbayerischen Technischen Hochschule in Regensburg ist Fachmann für Denkmalpflege und Bauforschung. Er verdeutlicht das Phänomen "Bauhaus" für die Zuhause-Leser.


Was machte die im Jahr 1919 gegründete Kunstschule, die unter dem Namen "Staatliches Bauhaus" bekannt wurde, so bahnbrechend?


Professor Kurapkat: Da ist vor allem der zu dieser Zeit revolutionär neue didaktische Ansatz zu nennen. Es wurde nicht - wie zuvor an Kunstschulen üblich - von den Professoren an die Studierenden weitergegeben, was sie für gute Kunst hielten, sondern stattdessen wurden die Studierenden dazu angeleitet, ihr eigenes kreatives Potential zu entdecken und damit originäre künstlerische Werke hervorzubringen. Außerdem blieb es nicht bei einem theoretischen Zugang zu Kunst und Architektur. Vielmehr durften die Studierenden ihre Entwürfe und Kreationen in den Werkstätten des Bauhauses selbst handwerklich umsetzen. Um diesen handwerklichen Bezug zu unterstreichen, hießen die Lehrenden am Bauhaus übrigens auch nicht Professoren sondern "Meister". Damit gingen die gedanklich-konzeptionellen Entwurfsanteile und die praktisch-technischen Fertigungsaspekte von Beginn an eine untrennbare Symbiose ein. Dieser Zusammenhang ist wahrscheinlich der Schlüssel zum Verständnis der zeitlosen Überzeugungskraft, die den meisten Bauhauswerken bis heute innewohnt. Später wurde dieser Ansatz an anderen Hochschulen übernommen, so ist es heute zum Beispiel an der OTH Regensburg selbstverständlich, dass die Studierenden der Architektur und des Industriedesigns ihre Entwürfe in den Fakultätswerkstätten eigenhändig in materielle Realität umsetzen - sei es im Modell oder im Maßstab 1:1.


Wie muss man sich Leben und Lernen in der Schule vorstellen? Welches Konzept gab es?


Professor Kurapkat: Walter Gropius, dem Gründungsdirektor, war es ein großes Anliegen, beides als eine Einheit zu sehen. Darum enthielt das Bauhaus nicht nur Zeichensäle und Werkstätten, sondern auch Essensräume, Wohnräume für Studierende und sogar eine Bühne für verschiedenste Veranstaltungen. Neben Vorträgen über Kunst und Architektur gab es hier auch Schauspielstücke und Tanzaufführungen des eigenen Ensembles. Außerdem gehörten diverse Feste und Feiern zum festen Jahresablauf, bei denen das Gemeinschaftsgefühl zwischen den Meistern und den Studierenden gefestigt wurde. All dies führte letztlich zu einem sehr hohen Identifikationsgrad der Studierenden mit "ihrem Bauhaus".


Wie sieht das "typische" Bauhaus-Gebäude aus? Wie erkennt man es?


Professor Kurapkat: Als "typisch Bauhaus" gelten heute vor allem Bauten der klassischen Moderne mit Flachdächern, weiß verputzten Wandflächen, liegenden Fensterformaten oder großflächigen Glasvorhangfassaden sowie meist asymmetrischer Fassadengestaltung. Dieses Bild wird größtenteils von der Gestalt des Gebäudeensembles bestimmt, das Walter Gropius ab 1925 am zweiten Standort des Bauhauses in Dessau errichtet hat. Der gleichen Formensprache folgen in Dessau auch die sogenannten Meisterhäuser sowie der erste Bauabschnitt der Arbeiterwohnsiedlung Dessau-Törten. Allerdings ist die Bauhaus-Architektur in Wahrheit vielfältiger. Sie umfasst ebenso expressionistische Bauten wie das 1920 in Berlin in Holzbauweise errichtete Haus Sommerfeld oder die ab 1927 unter Leitung des zweiten Bauhausdirektors Hannes Meyer mit ziegelsichtigen Wänden erbaute Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Bernau.


Was ist für Sie an diesen besonderen Bauhaus-Häusern das Revolutionäre?


Professor Kurapkat: Der gemeinsame Nenner dieser Häuser ist wahrscheinlich der umfassende gestalterisch-technische und zugleich funktional-soziale Ansatz. Alle diese Bauten folgen vom Gesamtentwurf bis ins kleinste technische Detail jeweils einer übergeordneten Idee. Die Gebäude wurden von ihren Schöpfern als Gesamtkunstwerke konzipiert, in deren Erschaffung alle Künste und Handwerke zusammenflossen. Ganz revolutionär war dieser Ansatz allerdings nicht, denn dieser wurde schon einige Jahre vor der Bauhausgründung unter anderem von Peter Behrens verfolgt. Das ist aber kein Zufall, denn in dem Berliner Architekturbüro von Peter Behrens arbeiteten vor dem Ersten Weltkrieg mehrere zu dieser Zeit noch unbekannte junge Architekten wie eben der Bauhausgründer Walter Gropius, der letzte Bauhausdirektor Ludwig Mies van der Rohe und auch ein gewisser Charles-Édouard Jeanneret-Gris, der später unter dem Pseudonym Le Corbusier berühmt werden sollte.


Bauhaus-Design: Wie lassen sich die Begriffe Handwerk und industrieller Herstellungsprozess in Einklang bringen?


Professor Kurapkat: Die Bedeutung der handwerklichen Aspekte für die anspruchsvolle Gestaltung von Gebrauchsgegenständen und Architektur war bereits im 19. Jahrhundert in England erkannt worden und wird dort unter dem Begriff der Arts&Crafts-Bewegung zusammengefasst. Daraus resultierte die Entstehung von Kunstgewerbeschulen in ganz Europa. In Deutschland wurde dann 1907 - also zwölf Jahre vor dem Bauhaus - der Werkbund gegründet. Dies war ein Zusammenschluss von Architekten und Unternehmern, deren Ziel es war, die industrielle und damit massenhafte und kostengünstige Produktion von Gebrauchsgütern mit einer hochwertigen Gestaltung zu vereinen. Die Vision war also die Fertigung ästhetisch anspruchsvoller Produkte zu erschwinglichen Preisen für alle. Dazu mussten die produktionstechnischen Aspekte eines Objekts unbedingt bereits beim Entwurf mitgedacht werden. Und genau hier setzt das Bauhaus an: Die technische Umsetzbarkeit der Bauhaus-Entwürfe wurde in den hauseigenen Werkstätten sogleich in Form von handwerklich erzeugten Prototypen überprüft und sollte idealerweise dann in eine massenhafte industrielle Produktion überführt werden. Damit war das Berufsbild des Industriedesigners geboren, so wie es heute unter anderem an unserer Hochschule studiert werden kann. Allerdings blieb die Realität teilweise hinter dem sozial- und technikutopischen Anspruch zurück und viele Bauhaus-Klassiker blieben in Kleinserien produzierte und damit für die meisten Bürger unerschwingliche Luxus-Objekte.


Weimar, Dessau, Berlin: An welchem dieser Standorte wurde das heute bekannte Bauhaus am meisten geprägt?


Professor Kurapkat: Das heute vorherrschende Bild des Bauhauses ist visuell sicher am stärksten mit dem zweiten Standort in Dessau verknüpft. Für die Entwicklung dahin sind aber die ersten Jahre am Gründungsort in Weimar mindestens ebenso wichtig. Dort bestand zwar nicht die Gelegenheit, für das Bauhaus selbst ein wegweisendes Schulgebäude zu errichten - einfach weil ein solches durch die 1907 von Henry van de Velde errichtete Kunst- und Kunstgewerbeschule schon zur Verfügung stand. Aber in Weimar wurde das didaktische Konzept entwickelt, die erste Generation von Bauhausschülern ausgebildet und auf das Gestaltungsniveau hingearbeitet, das sich dann in Dessau voll entfalten konnte. Die Schlussphase des Bauhauses in Berlin ist dann fast schon als Epilog zu bezeichnen. Die Dominanz der Persönlichkeit des letzten Direktors Ludwig Mies van der Rohes ließ hier wohl kaum noch Raum für die Entfaltung der individuellen kreativen Potentiale der einzelnen Studierenden. Damit war ein wesentliches Element der ursprünglichen Bauhausidee verlorengegangen und wahrscheinlich wären die besten und prägendsten Jahre des Bauhauses damit ohnehin bereits vorüber gewesen, auch wenn es nicht 1933 unter dem Druck der Nationalsozialisten geschlossen worden wäre.


Welche Häuser erinnern dort an die große Ära des Bauhaus-Baus in diesen Städten?


Professor Kurapkat: In Weimar ist vor allem das Musterhaus "am Horn" zu nennen, das als Ausstellungsobjekt im Maßstab 1:1 ein wesentlicher Bestandteil der ersten Bauhaus-Ausstellung von 1923 war, die DDR-Zeit einigermaßen unbeschadet überstanden hat und jetzt im Zuge des Jubiläumsjahres aufwendig restauriert wurde. In Dessau sind es natürlich vor allem das Bauhaus-Schulgebäude, die Meisterhäuser und die Siedlung Dessau-Törten. In Törten aber eben nicht nur der erste Bauabschnitt aus der Planung von Walter Gropius, sondern auch die Mehrfamilien-Laubenganghäuser seines Nachfolgers Hannes Meyer, der die sozialreformerischen Ziele weitaus stärker in den Mittelpunkt rückte als die anderen beiden Bauhausdirektoren, in der öffentlichen Wahrnehmung aber meist in deren Schatten steht. Vor den Toren Berlins in Bernau errichtete er auch die schon genannte Gewerkschaftsschule. In Berlin selbst konnten während der kurzen finalen Wirkungsdauer des Bauhauses außer dem kleinen Wohnhaus Lemke von Ludwig Mies van der Rohe keine Bauten mehr errichtet werden. Aber in den Nachkriegsjahren hinterließen dort Ludwig Mies van der Rohe mit der Neuen Nationalgalerie und Walter Gropius mit dem Gebäude für das Bauhaus-Archiv jeweils wichtige Spätwerke ihres jeweiligen Architekturschaffens.


In welchen Lebensbereichen oder an welchen Orten im ostbayerischen Raum kommen wir heute noch mit dem Bauhaus-Stil in seinen verschiedenen Ausprägungen in Berührung?


Professor Kurapkat: Der Begriff "Bauhaus-Stil" geht eigentlich an der Sache vorbei. Denn das Wort "Stil" reduziert das Bauhaus auf seine äußerlichen und formalen Eigenschaften. Wie zuvor erläutert, wird das Wesen des Bauhauses aber vielmehr durch eine Kombination von technischen, sozialen und gestalterischen Faktoren bestimmt. Diese leben in einer Vielzahl von Bauten des 20. Jahrhunderts fort, auch im ostbayerischen Raum. Denn selbst wenn die hiesigen Architekten nicht selbst Bauhausschüler waren, so war die Strahlkraft des Bauhauses doch so stark, dass mehrere Generationen von Planern und Künstlern dadurch direkt oder indirekt beeinflusst wurden. Ein Beispiel dafür ist das heutige Architektur-Fakultätsgebäude der OTH Regensburg in der Prüfeninger Straße. Es weist vor allem in seinem zweiten Bauabschnitt, der von 1958 bis 1961 von Hans Beckers errichtet wurde, deutliche Bauhausbezüge auf und steht seit Kurzem unter Denkmalschutz. Das Foyer dieses Hauses ist außerdem mit Wandbildern des bekannten ostbayerischen Künstlers Willi Ulfig ausgestattet, der ein Schüler des Bauhaus-Meisters Oskar Schlemmer war. Hier kommt also auch in unserer Region die Bauhaus-typische enge Verschränkung von moderner Architektur und künstlerischer Gebäudeausstattung zum Tragen. Und dann ist die sogenannte "Glaskathedrale" in Amberg nicht zu vergessen. Hier hat Walter Gropius in den Jahren 1968 bis 1970 eines seiner weltweit allerletzten Bauwerke errichtet und mit dieser Produktionsstätte für das Glaswerk Rosenthal einen Höhepunkt der Industriearchitektur des 20. Jahrhunderts hinterlassen. Dieser Bau vereint in bester Bauhausmanier sowohl formale und bautechnische Innovationen als auch einen hohen Anspruch an optimierte Produktionsabläufe in einer zugleich für die Arbeiter möglichst angenehmen Umgebung. Ein weiteres Zeugnis der Zusammenarbeit zwischen Walter Gropius und Rosenthal befindet sich in der oberfränkischen Porzellanstadt Selb.


Mehrere Tausend Bauhaus-Häuser wurden in Tel Aviv errichtet. Wie prägt so eine Ansammlung von Gebäuden ihrer Meinung nach das Antlitz einer Stadt?


Professor Kurapkat: Dass ein ganzes Stadtviertel wie die sogenannte "Weiße Stadt" von Tel Aviv innerhalb weniger Jahre mehr oder weniger geschlossen in der Architektursprache des Bauhauses errichtet wurde, ist eine Ausnahme. Deshalb steht dieses Ensemble seit 2003 auch auf der Liste des UNESCO-Welterbes. Die Wirkung eines solchen Stadtviertels steht und fällt aber mit dem pfleglichen Umgang mit diesen Bauten. Denn für die Gebäude aus der Bauhaus-Ära gilt wie für jegliche Architektur, dass sie fachgerecht in Stand gehalten werden muss, damit ihre ästhetischen und funktionalen Qualitäten erhalten bleiben. Wenn dies nicht geschieht, beginnt schnell eine Abwärtsspirale aus optischer Vernachlässigung, damit weiter sinkender Akzeptanz durch Nutzer und Anwohner und schließlich aufkommenden Rufen nach Abriss und Neubau. Mit der genauen Dokumentation und Untersuchung von historischen Bauten als Grundlage für deren denkmalpflegerische Erhaltung befasst sich an der OTH Regensburg der Masterstudiengang Historische Bauforschung. Dabei werden neben mittelalterlichen oder barocken Gebäuden vermehrt auch Bauten aus dem frühen 20. Jahrhundert und sogar der Nach-Bauhaus-Zeit zu Untersuchungsobjekten.


100 Jahre Bauhaus in diesem Jahr: Kann sich das Bauhaus ihrer Erfahrung nach auch noch heute weiterentwickeln oder ist die Entwicklung zuende?


Professor Kurapkat: Viele der Ideen des Bauhauses leben sicher weiterhin in den Architekturfakultäten unserer Hochschulen und in den Planungen der heutigen Architektinnen und Architekten fort. Nicht immer bewusst, teils auch unbewusst, nicht immer in "Reinform", sondern meist in Kombination mit weiteren Einflüssen. Das Bauhaus ist ein ganz wesentlicher Bestandteil des kollektiven Architektur-Gedächtnisses unserer Gesellschaft und damit eine anhaltende Quelle für die kontinuierliche Weiterentwicklung aktueller Architektursprachen. Die Architekturgeschichte hat uns gelehrt, dass diese Entwicklung niemals abgeschlossen ist. Und so wird auch die Nachwirkung des Bauhauses nicht enden, so lange der Mensch baut.


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